Nathalie Schneitter: Vom XC zum E-MTB-Profi Nathalie Schneitter sammelte Medaillen bei XC-Weltmeisterschaften, gewann Weltcups und nahm an den Olympischen Spielen in Peking teil. Sie gehörte über Jahre hinweg zu den weltweit besten XC-Athletinnen. Nach ihrem Abschied aus dem XC-Rennzirkus wurde es international zunächst etwas ruhiger um sie. Bis August 2019. In Mont Saint-Anne (Kanada) krönte sie sich zur ersten Weltmeisterin in der Disziplin E-MTB. Doch wie wird man eigentlich E-Mountainbike-Profi? In diesem Blog geht Nathalie dieser Frage nach...
Ich wage zu behaupten, dass ich als Mountainbikerin schon fast alles erlebt habe – zumindest alles was der Rennsport zu bieten hat. Vom Cross-Country-Weltcup, über Etappenrennen wie das Cape Epic, bis zur Megavalanche und der Enduro World Series habe ich schon alles in den Beinen. Das E-Mountainbike als Renngerät jedoch war bis letztes Jahr für mich noch ein unbeschriebenes Blatt. Noch vor wenigen Jahren hätte ich mich wohl nur bei Nacht und Nebel e-powered aus dem Haus getraut. Der Siegeszug des E-MTB hat aber auch meine Neugier geweckt.
Für mich bedeutet Radfahren Freiheit und Glück. Dabei ist mir egal, ob ich auf meinem Trek Domane Rennrad in die Pedale trete, bis die Lungen brennen, oder auf dem Trek Slash Enduro Bike Trails ballere, bis ich den Lenker kaum noch halten kann. Zudem liebe ich das Abenteuer und körperliche und mentale Herausforderungen. Kein Wunder also, dass die Ankündigung der ersten offiziellen E-MTB Weltmeisterschaft mein Interesse weckte.
Wie die meisten, habe ich mich zunächst etwas gewundert? E-Bikes im Rennsport? Wie soll denn das gehen? Probieren geht über Studieren und so stand ich aus reiner Neugier an der Startlinie der World E-Bike Series in Monaco, notabene bei ihrer ersten Austragung. Geboten wurde Rennsport vom Feinsten auf einer technisch anspruchsvollen Strecke und ich musste mehrmals meine eigenen Überzeugungen über Bord werfen. Ich lernte zum Beispiel, dass E-Racing vor allem dann Sinn macht, wenn die Strecke so schwierig ist, dass sie ohne E-Unterstützung kaum zu bewältigen wäre, oder dass ein 150mm E-MTB tatsächlich auch für E-Cross Country die richtige Wahl ist.
Da noch niemand Erfahrung mit dem Thema E-MTB-Racing hatte, musste ich mir viel Wissen selbst aneignen, meine eigenen Erfahrungen sammeln und alles permanent hinterfragen. Wie ein Anfänger dazustehen und auch mal eine doofe Frage zu stellen, das brauchte nach so vielen Jahren Profi-Zirkus etwas Mut. Von Null aneignen musste ich mir zum Beispiel das Verständnis dafür wie mein Bosch-Motor genau tickt. Denn E-Racing ist ein Teamsport: Nicht nur ich stehe als Athlet im Mittelpunkt, sondern auch mein Teampartner, mein e-powered Mountainbike. Nur wenn das Zusammenspiel von uns beiden harmoniert, können wir als Team erfolgreich sein. Mein Trek Rail, das genau rechtzeitig zur WM an meiner Seite stand, ist mir mittlerweile als Team-Partner richtig ans Herz gewachsen.
Auch im Training stellten sich viele Fragen. Wie trainiert man denn nun genau für ein E-Mountainbike Rennen? Welche Schwerpunkte setzt man, wieviel ist Fitness, wieviel Fahrtechnik? Eines war dabei schnell klar: Der Oberkörper arbeitet beim E-Biken mit. Die zusätzlichen Kilos des Bikes müssen ja gelenkt werden. E-Mountainbiken trainiert also nicht nur die Ausdauer, sondern formt gleichzeitig auch noch den Sixpack. Auch was schwierige fahrtechnische Passagen angeht, eröffnete mir das E-MTB eine komplett neue Dimension. Wenn man sich erst mal getraut die Fähigkeiten des E-Mountainbikes auszuschöpfen, werden die Grenzen des Möglichen wahrlich verschoben.
Bei der ersten E-MTB Weltmeisterschaft wurde Geschichte geschrieben und dank der intensiven Vorbereitung, konnte ich das Rennen für mich entscheiden und mich als Weltmeisterin ins Regenbogentrikot einkleiden lassen. Bin ich jetzt E-Bike Profi? Ich weiss es nicht. Für mich ist das E-Mountainbike wie ein zusätzliches Pferd im Stall. Reiten tu ich meine Pferdchen alle gerne, aber das E-MTB ist das wildeste Gefährt im Stall. Um es richtig einsetzen zu können, braucht es viel Kraft, Fitness und Fahrtechnik. Um mir diese anzueignen, fahre ich auch meine nicht-motorisierten Fahrräder sehr gerne, doch die grosse Liebe zu dem neu entdeckten Möglichkeiten des E-Bikes, die bleibt.
Fotografie: Matt DeLorme
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