Als Jenn Dice ihr erstes Leadville Trail 100 MTB fuhr, weinte sie an der Startlinie. Das berüchtigte Mountainbike-Rennen war an sich schon eine einschüchternde Herausforderung, gepaart mit eiskaltem Regen und einer gefluteten Strecke aber schien es nahezu unmöglich.
Dreizehn Stunden später war Jenn eine von weniger als der Hälfte der ursprünglich 900 Starter, die an diesem Tag die Ziellinie überqueren sollten. Seitdem hat sie das Rennen 14-mal zu Ende bringen können.
Harte Arbeit und Rückschläge sind Jenn nicht fremd und für eine seit vielen Jahren aktive Outdoor-Lobbyistin, die sich oftmals mit politischen Vertretern aus scheinbar übermächtigen Branchen wie Öl und Gas anlegt, nicht gerade untypisch.
Jenn begann ihre berufliche Karriere als Transport-Lobbyistin im Parlament des US-Bundesstaates Colorado. 2021 holte sie die International Mountain Bike Association (IMBA) als Direktorin für Regierungsbeziehungen an Bord, nachdem sie auf einem Mountainbike-Event zufällig auf den Stand der gemeinnützigen Organisation gestoßen war. Während ihrer Zeit bei der IMBA nahm die Zusammenarbeit mit Regierungsbehörden immer größere Ausmaße an, sodass ihre Abteilung von 20 auf 60 Mitarbeiter wuchs. 2011 nahm das Outside Magazine sie in seine Liste der weltweit 25 einflussreichsten Outdoor-Persönlichkeiten auf.
„Wenn du mit deinem Bike überall dort unterwegs bist, wo es nicht asphaltiert ist, dann schuldest du Jenn Dice definitiv ein Bier“, schrieb das Magazin.
Es gibt wohl niemanden in der Fahrradbranche, der dieser Aussage widersprechen würde.
Aber Jenns Reise endete nicht auf den Trails. Nach mehr als zehn Jahren bei der IMBA war sie bereit, eine neue Herausforderung anzunehmen. Dieses Mal auf Asphalt, und zwar als Vizepräsidentin für Regierungsbeziehungen für PeopleForBikes, einer umtriebigen Fahrradinteressengruppe, die sich in den USA auf lokaler und nationaler Ebene für wirkungsvolle Veränderungen in der Fahrradinfrastruktur einsetzt.
„Im Grunde betreibe ich Lobby-Arbeit für mein Hobby“, sagt Jenn mit einem Schmunzeln.
2019 leitete Jenn bereits das operative Geschäft der Organisation, und im Juli 2020 wurde sie zur Präsidentin und Geschäftsführerin ernannt. Und während die ganze Welt unter einer globalen Pandemie litt, erkannte Jenn die Chance für Fahrräder, bei der Heilung zu helfen.
„Wir glauben an die Kraft des Fahrrads, bei der Genesung Amerikas zu helfen“, sagt Jenn. Sie und ihr Team sind davon überzeugt, dass Fahrräder die Lösung für viele der Probleme auf unserem Planeten sind – von zugänglicher und gerechter Mobilität für alle bis hin zum Klimawandel. Aber all diese Lösungen kommen mit ihren eigenen Hindernissen.
„Die Menschen werden nicht das Fahrrad nehmen, wenn sie in ihrer Nähe keinen sicheren Ort zum Fahren haben“, sagt Jenn. Darum arbeitet PeopleForBikes unermüdlich mit US-Städten zusammen, um unter anderem die Radwegnetze zu erweitern, den Ausbau der Fahrradinfrastruktur zu beschleunigen und Bike-Sharing in unterversorgte Communitys zu bringen.
In ihrem ersten Monat bei PeopleForBikes beleuchteten Jenn und ihr Team alle Projekte, an denen sie arbeiteten, und stellten sich folgende Frage: „Wie können wir besser sein?“
Das Ergebnis war der Mobility and Racial Justice Action Plan, der gleichberechtigten Zugang zum Radfahren fördert und Fahrräder als Lösung für soziale Ungerechtigkeit und Mobilitätsprobleme positioniert. Der Plan zielt auf wesentliche Veränderungen ab: das Überdenken von öffentlichen Räumen, um Menschen zu ermutigen, mehr Zeit an der frischen Luft zu verbringen; die Sicherung von Bundesmitteln für Forschungsarbeiten, welche die Ungleichheit in unterversorgten Communitys untersuchen; die Erarbeitung von Kaufanreizprogrammen, um Fahrräder für eine breitere Bevölkerung erschwinglich zu machen.
„Der Ausschuss für Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion der Fahrradbranche trifft sich monatlich, und unser eigener Ausschuss alle zwei Wochen. Ziel ist es, uns intern weiterzubilden und dann wirksame Maßnahme extern umzusetzen“, sagt Jenn. „Ganz egal, wo do wohnst, du solltest die Möglichkeit haben, dich in deiner Stadt, deiner Gegend, deinem Viertel frei zu bewegen.“
Diese Bemühungen werden durch die Better Bike Share-Partnerschaft unterstützt. Sie soll dabei helfen, „gleichberechtigte und replizierbare“ Bike-Sharing-Systeme in marginalisierten Communitys zu etablieren.
Im Rahmen ihres Ride Spot-Programms haben Jenn und ihr PeopleForBikes-Team außerdem 67 Botschafter ernannt, welche die einfachen Freuden das Radfahrens einer vielfältigeren Zielgruppe näherbringen sollen.
„Wir haben bewusst Botschafter ausgewählt, die unterschiedliche Radfahrtypen repräsentieren“, sagt Jenn. „Sie unternehmen interessante Ausfahrten, berichten davon und helfen vor allem Einsteigern und Menschen, die vielleicht noch nicht wissen, wo sie fahren können, Hürden zu überwinden.“
Im letzten Jahr sind 10 % der US-Amerikaner zum ersten Mal seit zwölf Monaten oder zum ersten Mal überhaupt mit dem Fahrrad gefahren, während sich 12% ein neues Fahrrad gekauft haben und 13 % die Anschaffung eines neues Fahrrads innerhalb der nächsten zwölf Monate planen. „Vor diesem Hintergrund ist das Ride Spot-Programm besonders wichtig“, erklärt Jenn.
Das PeopleForBikes-Team kämpft weiterhin unermüdlich für bessere Radfahrbedingungen in den USA, damit neue Radfahrer auch nach ihren ersten Versuchen weiterhin mit dem Fahrrad fahren.
„Wir nehmen an Anhörungen teil, schreiben Briefe, halten virtuelle Meetings und organisieren Sitzungen, damit Entscheidungsträger, wenn sie an Transportlösungen denken, immer auch an Fahrräder denken. Dass, wenn sie an Lösungen für mehr Gleichheit denken, immer auch an Fahrräder denken. Und dass, wenn sie an Umweltlösungen denken, immer auch an Fahrräder denken“, erklärt Jenn ihre Bemühungen, die öffentliche Politik zu beeinflussen.
Die kürzliche Einführung des E-BIKE Act durch den US-amerikanischen Kongress, der beim Kauf eines E-Bikes eine Steuergutschrift von bis zu 1.500 $ bringt, stimmt Jenn positiv für die Zukunft.
„Die Welt verändert sich“, sagt sie. „Und wir wollen uns mit ihr verändern.“
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